Bayern Rundfahrt 2014
Jens Voigt im Interview
26. Mai 2014
Im Rahmen der Pressekonferenz zum Start der Bayern Rundfahrt 2014
am 27. Mai in Vilshofen äußerte sich Jens Voigt (42) ausführlich zu
seiner Karriere, seinen Zielen und zur Bayern Rundfahrt, die er bisher
drei Mail gewann, als eins seiner ausgesprochenen Lieblingsrennen.
Frage:
«Als bekannt wurde, dass Ihr Team Trek Factory die Bayern Rundfahrt
fahren will, haben Sie gleich den Finger gehoben, um im Aufgebot für
die Rundfahrt dabei zu sein. Was verbindet Sie mit der Bayern
Rundfahrt?»
Jens Voigt: «Ich bin mehr als fünf Mal am Start gewesen, habe drei Mal
die Rundfahrt gewonnen und bin mit Ewald Strohmeier, dem Macher der
Rundfahrt, wirklich freundschaftlich verbunden. Es ist einfach toll zu
sehen, mit wie viel Herzblut dieses schöne Rennen organisiert wird. In
den vergangenen Jahren hat es leider mit meinem Rennkalender oder dem
des Teams nicht gepasst, in Bayern zu starten. Umso mehr freue ich
mich, dieses Jahr dabei zu sein. Es ist wirklich ein glücklicher
Zufall, dass ausgerechnet die Bayern Rundfahrt mein einziges großes
Rennen in Deutschland sein wird, das ich in meinem letzten Profijahr
fahren werde.»
Frage: «Die Bayern
Rundfahrt hat in diesem Jahr zum ersten Mal in ihrer 35-jährigen
Geschichte eine echte Bergankunft in ihrem Programm. Wie schätzen Sie
vom Profil der Etappe den Verlauf des Rennens ein?»
Jens Voigt: «Das ist im Radsport immer unheimlich schwer zu sagen. Wenn
einer attackiert und alle hinterherfahren, dann wird es eine
superschwere Etappe. Andererseits, wenn sich alle einig sind und erst
einmal Ruhe im Feld ist, wird sich alles auf den Schlussanstieg
konzentrieren. Aber in jedem Fall müssen sich alle, die etwas mit dem
Gesamtausgang des Rennens zu tun haben wollen, an diesem Tag vorne
zeigen.»
Frage: «Was sind
Ihre eigenen Ambitionen für die Bayern Rundfahrt? Sie könnten ja mit
einem erneuten Sieg bei der Bayern Rundfahrt eine neue Rekordmarke mit
vier Gesamtsiegen aufstellen.»
Jens Voigt: «Nun, Träumen darf man natürlich immer, aber realistisch
gesehen wird das wirklich schwer für mich. Die Bayern Rundfahrt hat so
ein hochkarätiges Starterfeld. Da müsste für mich wirklich alles
perfekt laufen, um noch einmal das Gelbe Trikot zu gewinnen. Aber
natürlich werde ich alles geben. Das bin ich mir und auch meinen Fans
schuldig.»
Frage: «Gibt es eine Situation, ein Bild, das Sie ganz besonders mit der Bayern Rundfahrt verbinden?»
Jens Voigt: «Ich erinnere mich an eine Situation: Ich fuhr im Gelben
Trikot und war schon von meinen Teamkameraden isoliert. Von allen
Seiten wurde attackiert. Jede Attacke musste ich mitgehen, um das Gelbe
Trikot nicht zu gefährden. Irgendwann war ich aber dann so platt, dass
ich dachte, das schaffst du nie, das Trikot heute noch zu verteidigen.
Genau zu dem Zeitpunkt schloss ein einzelner Teamkollege wieder zu mir
auf und meinte voller Angriffslust: „Die machen wir jetzt alle platt.“
Und das, obwohl er eigentlich viel fertiger war als ich. Ich hätte ihn
jedenfalls küssen können. Und tatsächlich haben wir das Gelbe Trikot an
diesem Tag behalten.
Tja, und dann gab es bei einer Rundfahrt einmal den Moment, in dem ich
gedacht habe: Irgendwie sehen die Kühe in Bayern wirklich glücklicher
aus als in Berlin oder Brandenburg. Es war schönstes Bilderbuchwetter
mit blauem Himmel und Sonnenschein. Ich war vor dem Start der Rundfahrt
bei einer Trainingsrunde unterwegs vorbei an grünen Wiesen, auf denen
Kühe friedlich und zufrieden grasten.»
Foto: © Bayern Rundfahrt/Hennes Roth
Frage: «Sie fahren 2014 Ihre letzte Saison als Profi. Ist der Gedanke an das Karriereende ein ständiger Begleiter für Sie?»
Jens Voigt: «Ich versuche eigentlich schon, das auszublenden. Es ist
hilft ja nichts. Der Gedanke daran könnte dazu verführen, in einem
Rennen nicht mehr alles zu geben, es einfach zu locker zu nehmen.
Genauso besteht aber auch die Gefahr mit dem Blick auf das
Karriereende, zu viel zu riskieren. Ich versuche da einen gesunden
Mittelweg für mich zu finden. Natürlich schießt es mir schon bei dem
einen oder anderen Rennen durch den Kopf und mir wird dann bewusst:
Mensch, das ist jetzt wirklich das letzte Mal, dass du hier am Start
stehst und dieses Rennen fährst.»
Frage: «Woher haben Sie gerade in den letzten Jahren, in einem Alter,
in dem andere Sportler bereits längst ihre Karriere aufgegeben haben,
Ihre Motivation genommen?»
Jens Voigt: «Ich könnte natürlich jetzt sagen, ich bin verheiratet und
habe eine Familie mit sechs Kindern zu versorgen. Nein, das ist es
nicht. Dieser Sport ist zu hart und zu schwer, um ihn nur fürs Geld zu
machen. So eine Karriere hat ja verschiedene Phasen und ich habe mich
auch jetzt in dieser letzten Phase, in der ich selbst nicht mehr die
großen Ergebnisse eingefahren habe, als Teil der Mannschaft gefühlt.
Ich habe diese Leidenschaft für den Radsport immer noch, nur setze ich
sie jetzt anders um als zu Beginn meiner Karriere. Jetzt durch meine
Leistung dem Star in der Mannschaft zum Erfolg zu verhelfen, ist für
mich genauso befriedigend wie zu Beginn meiner Karriere selbst
derjenige gewesen zu sein, der den Sieg für die Mannschaft geholt hat.
Und dann ist es auch das Feedback der Fans, die nach dem Rennen einem
auf die Schulter klopfen und Anerkennung zollen. Das macht mich
glücklich und gibt mir Motivation, wieder loszulegen.»
Frage: «Sie haben von Ihrer Leidenschaft für den Radsport gesprochen.
Kann es dann ohne den Radsport nach Ihrer aktiven Laufbahn für Sie
überhaupt weitergehen?»
Jens Voigt: «Man ist ja in so einer Situation, in der ich mich gerade
befinde, versucht, etwas ganz Neues zu machen. Also nicht nur einfach
ein Kapitel in einem Buch zu schließen, sondern tatsächlich ein ganz
neues Buch aufzuschlagen. Aber für mich ist klar: Ich habe für meinen
Erfolg im Radsport wirklich hart gekämpft. Das will ich jetzt nicht
einfach so über Bord werfen und werde mir daher sicher eine Aufgabe
suchen, die auf dem aufbaut, was mich die letzten Jahre geprägt hat.»
Frage: «Von heute aus betrachtet: Bedauern Sie es, nie für ein deutsches Team gefahren zu sein?»
Jens Voigt: «Wissen Sie, ich habe, nachdem ich 1994 den Weltcup als
Amateur gewonnen hatte, wirklich zwei Jahre gebraucht, um einen
Profivertrag zu erhalten. Ich habe gekämpft und gebettelt, um in
Deutschland als Profi fahren zu können – ohne Erfolg. Als ich dann 1998
zu Credit Agricole nach Frankreich gewechselt war und erste Ergebnisse
eingefahren hatte, wurde ich auch für die deutschen Teams interessant.
Aber in diesem Moment kam es für mich nicht in Frage, das Team, das mir
vertraut und auf meine Fähigkeiten gesetzt hatte, nach nur einem Jahr
wieder zu verlassen. Später habe ich dann realisiert: „Okay, ich bin
der, der im Ausland fährt, das ist Teil meines Image.“ Damit konnte ich
gut leben. Nach allem, was sich dann im deutschen Radsport ereignet
hat, war es von heute aus betrachtet eine meiner glücklichsten
Entscheidungen.»
Frage: «Sie standen 16 Mal am Start der Tour de France. Kommt 2014, im letzten Jahr Ihrer Karriere, ein 17. Mal hinzu?»
Jens Voigt: «Das ist schwer zu sagen. Es werden ja zu Beginn der Saison
erweiterte Kader für die verschiedenen Rennen zusammengestellt. So bin
ich erst einmal in der Planung für die Tour mit dabei. Aber am Ende des
Tages hängt es dann davon ab, was für Ziele die Mannschaft bei der Tour
hat: Wird auf Gesamtwertung gefahren, setzen wir auf die Sprinter?
Entsprechend wird die Mannschaft zusammengestellt. Und klar, es zählt
die Form jedes einzelnen Fahrers. Wie zeigt er sich bei den Rennen?
Insofern spielt die Bayern Rundfahrt eine wichtige Rolle in der
Vorbereitung auf die Tour.»
Frage: «Sie sind 42 Jahre alt, einige Ihrer Teamkollegen zählen gerade
einmal 20 Jahre. Wie sehen Sie Ihre Rolle gegenüber den jungen Fahrern?»
Jens Voigt: «Wir sprechen ja alle englisch miteinander, da gibt es kein
Sie und Du. Aber dennoch habe ich anfangs gespürt, dass die Jungs erst
einmal etwas befangen waren. Ich glaube, die hätten mich am liebsten
mit „Herr Voigt“ angesprochen. Da war es an mir, die Distanz zu brechen
und auch klarzumachen, dass ich sie als Teamkollegen voll akzeptiere.
Was ich wirklich schätze, ist, wenn die jungen Fahrer einem zuhören und
mit Überzeugung annehmen, was ich ihnen aus meiner Erfahrung
weitergeben kann. Das bringt mir wirklich eine große Zufriedenheit.»
Die Etappen der
Bayern Rundfahrt 2014 im
Überblick:
27. Mai:
Teampräsentation in Vilshofen
28. Mai: 1. Etappe:
Vilshofen – Freilassing
29. Mai: 2. Etappe:
Freilassing – Reit im Winkl/Winklmoos-Alm; im
Rahmenprogramm: Bayerische Bergmeisterschaften für Nachwuchs, Elite und
Jedermann
30. Mai: 3. Etappe:
Grassau – Neusäß
31. Mai: 4. Etappe:
Einzelzeitfahren in Wassertrüdingen am Hesselberg;
im Rahmenprogramm Jedermann-Zeitfahren
1. Juni: 5. Etappe:
Wassertrüdingen am Hesselberg – Nürnberg; im
Rahmenprogramm: Jedermann-Rennen «Rund um die Nürnberger Altstadt»
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